TAUNUSREITER
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NEU Februar 2016
Wie alles anfing... (von Ursula Bruns)
Ursula Bruns (1.v.r.) mit den bei Bonn untergebrachten
"Immenhof"-Isländern (Foto Stadtanzeiger Bonn)
Im
Grunde begann alles mit Phantasie, Gedächtnis und produktiver
Neugier. Genauer gesagt: 1949 unterhielt ich mich mit dem
großen alten Mann der deutschen Reiterei, Gustav Rau,
über einen Plan zu einem neuen Buch. Er hatte meinen Erstling,
„Hindernisse für Huberta", kenntnisreich und sehr begeistert
besprochen und wünschte nun, ich möchte zur Unterstützung des
gerade wieder aufblühenden Sports mit Pferden ein Buch in
Richtung "Hans und Grete beim Turnier" schreiben. Doch ich
hatte den Titel für das Buch, das mir vorschwebte, schon. Er
lautete: "Dick und Dalli und die Ponys." Was ich brauchte,
waren Adressen von Ponyleuten, damit ich mich umsehen konnte.
Widerstrebend gab er mir ein paar und fügte gesprächsweise
hinzu: „Da gibt es übrigens bei Memmingen einen Mann, der hat
gerade Islandponys eingeführt - zum Reiten, wie er sagt. Ob
das was ist, weiß ich freilich nicht. Sie sollen eine
merkwürdige andere Gangart haben."
Islandponys! Sofort brachte mein Gedächtnis das Wort in
Verbindung mit einer Anzahl Bücher, die ich als Zehnjährige
gelesen hatte. Ihr Autor war Jon Svensson gewesen, und
es ging darin immer um zwei kleine Jungen, Nonni und Manni,
und ihre Erlebnisse auf einer Insel "aus Feuer und Eis". Eines
der Geschehnisse hatte meine Phantasie so beflügelt, daß ich
es nie wieder vergaß. Es handelte davon, daß Nonni, vom
Nichtspassieren ein bißchen gelangweilt, zum jüngeren Manni
sagte: "Komm, wir holen uns ein Pferd und reiten." Worauf sie
einen Strick von der Wand des Erdhauses nahmen, in die Berge
marschierten, sich an eine alte Stute heranschlichen, ihr den
Strick geschickt um den Kopf schlangen, auf ihren Rücken
kletterten und losritten...
Eine wahrhart unglaubliche Sache! Ich malte sie mir in allen
Spielarten endlos aus, immer voll der unerfüllten
Kindersehnsucht nach einem Pferd, frei, ungebunden, irgendwo
im Draußen weidend, mit einem Strick zumindest für die Dauer
eines Rittes zum eigenen zu machen.
Ich bekam dann andere eigene Pferde, und die Jugendträume
verblassten - wie Jugendträume das so tun. In Vergessenheit
aber gerieten sie nicht, denn bei der bloßen Erwähnung von
Islandpferden damals in Warendorf sprangen sie mir lebendig
und prall wieder vor die Augen. Und da, wie gesagt, Gedächtnis
und Phantasie in mir stets von der Neugier angetrieben werden,
beschloß ich auf der Stelle, nach Süddeutschland zu fahren, um
die Pferde zu sehen, die aus Island kamen und "andere"
Gangarten hatten.
Was das bedeutete, kann sich kein junger Mensch von heute mehr
vorstellen. 800 Kilometer mit vorsintflutlicher
Nachkriegsbahn, mit "ertauschtem" Billett, in überfüllten
Abteilen, vom Morgengrauen bis tief in die Nacht...
Ich dachte immerzu nur an die Pferde von der Insel "aus Feuer
und Eis" und ihre anderen Gangarten - welche wohl? Was gab es
denn noch außer Schritt, Trab und Galopp? Immerhin war ich
schon Reitlehrerin und konnte mir nicht vorstellen, was es
außer dem Bekannten noch gab. Egal - ich wollte es reiten.
Hier muß ich einschieben, daß ich nie begreifen gelernt habe,
daß man Fachwissen nicht unbedingt vergrößern möchte. Doch in
den 35 Jahren seit damals, in denen immer mehr Isländer in
immer geringerer Nähe zu sehen sind, gab es Tausende von
"Fachleuten", die sich nicht die Bohne für Tölt, Paß, Paso u.
ä. interessierten. Unfaßbar! -- Dass sich 1949 außer mir kaum
jemand dafür interessierte, war eher begreiflich, soweit es
die Reitlaien betraf -- dass die Fachwelt die Augen
verschloß, geschah, wie wir noch sehen werden, mit Absicht!
Frank Thies, der Mann, der die Isländer herübergebracht
hatte, war ein Enthusiast und welterfahrener Mann; er hatte
vor dem Krieg die Nilflotte von Lloyd mit 3000 Angestellten
personell betreut und sich anläßlich eines längeren
Aufenthaltes in Island in die kleinen Pferde verliebt.
Überzeugt von ihrer Kraft und Ausdauer, ihrem ausgeglichenen
Charakter und ihrem Arbeitswillen hielt er sie für den besten
Ersatz der aussterbenden großen Arbeitspferde. Alle Welt war
damals noch davon überzeugt, es werde in der Landwirtschaft
immer Bedarf sein für ein kleines Pferd neben dem sich soeben
durchsetzenden Traktor. Mein Argument, daß jene Firmen, die
große Traktoren entwickelt hatten, sehr bald auch kleine
herausbringen würden, die dann alle Pferde ersetzen könnten,
wurde als "fachfremd" nur belächelt. Ich selbst freilich blieb
davon überzeugt und betrachtete so das Islandpferd von Anfang
an nur als Reitpferd.
Thies ließ mich seine Pferde bereitwillig ausprobieren, und
ich war begeistert von dem, was die drei reitbaren Tiere unter
dem Sattel brachten. In der Rückschau muß heute gesagt werden,
daß sich kein ordentlicher Tölter darunter befand. Weicher
Paß, munteres Vorwärtsgehen, ein gut Teil Eigenwilligkeit: das
befriedigte erst einmal meine Neugierde. Bessere Pferde
sollten kommen.
1950 schrieb ich in nur drei Monaten "Dick und Dalli und die
Ponys" - für mich Langsamschreiber ein absoluter Rekord. Die
Geschichte fesselte mich selbst und machte mir einen
Riesenspaß. Den muß sie dann auch den Lesern gemacht haben,
denn das Buch ging weg wie warme Semmeln. Außerdem brachte es
mir die erste Einladung zu einem "Internationalen
Ponyzüchterkongreß" ein, der in Edinburg stattfand.
Um die Geschichte des Islandpferdes auf dem Kontinent in ihren
Anfängen wirklich verständlich zu machen, muß ich hier ein
wenig ausholen. In jenen frühen Jahren sahen sich die
europäischen Pferdezüchter mit einer schweren Krise
konfrontiert. Aus dem Krieg waren Hunderttausende von Pferden
zurückgekommen und fluteten auf einen Markt, der durch die
machtvoll vordrängende Technik in der Landwirtschaft ohnehin
täglich enger wurde. Einzig die Kleinpferdezüchter sahen
plötzlich Chancen auf einen ausweitenden Markt. In allen
Bundesländern etablierten sich Verbände zur Zucht von Ponys
und Kleinpferden, resp. wurden bereits vorhandene verstärkt
zusammengefaßt unter einem Dachverband.
Sehr schnell aber stellte sich heraus, daß der aufnahmebereite
Markt überhaupt nicht bedient werden konnte, da ja Deutschland
niemals eingeborene und eigenständige Ponys gezüchtet oder in
größerem Umfang benutzt hatte. Vorhanden waren Shettys als
Spielzeug für Kinder oder auch zum Turnierfahren (ein paar
wurden auf kleinen Bauernhöfen, im Gemüse- und Weinbau
eingesetzt), ein paar Dülmener und Seegalendorfer, eine
Handvoll Doppelponys (worunter alles fiel, was zwischen Pferd
und Shetländer gezüchtet oder einfach geboren wurde) sowie aus
dem Krieg mitgebrachte russische oder polnische Panjes.
Deutschland also war zu jener Zeit arm an Ponys und bot
gleichzeitig einen aufnahmebereiten Markt für die "richtige"
Rasse.
Um diesen Begriff ging es das nächste Jahrzehnt.
Den Vertretern der Kleinpferdezuchtverbände mit der erklärten
Absicht, ein Zugpferd für die Landwirtschaft zu produzieren,
erschienen "richtig" verständlicherweise nur solche Rassen,
die die dazu erforderlichen Eigenschaften besaßen. Nach ihnen
hielt man Umschau, und so wurden die Ponyzüchterkongresse, die
von Wissenschaftlern wie Speed (Schottland) und Ebhardt
(Deutschland) mit dem Ziel ins Leben gerufen worden waren,
einen Überblick über die Weltproduktion an kleinen und
ursprünglichen Rassen zu bieten, im Handumdrehen ein
Schlachtfeld um den deutschen Markt. In Edinburg waren
Vertreter von nicht weniger als 23 Ländern vertreten, die alle
Ponys züchteten, darunter Basutoland, Togo, Schweden,
Frankreichs Carmargue und viele andere mehr. Echte
Exportchancen hatten - wie sich bald herausstellte - nur
Schottland mit dem Highland Garron, Norwegen und Dänemark mit
dem Fjordpferd und Island mit dem Isländer. Alle übrigen Ponys
waren für die Landwirtschaft entweder zu klein, klimatisch
nicht anzupassen oder nicht in ausreichenden Mengen vorhanden.
Die aggressivsten Verkäufer stellten die Dänen und die
Norweger; die Holländer warteten gespannt ab, welche Rasse das
Rennen machen würde, um sie dann möglichst nachzuzüchten und
ebenfalls nach Deutschland zu liefern: Alle umwarben heftig
die Vertreter der Bundesrepublik, die mit Einladungen
überschüttet wurden. Darüber kursierten dann die wildesten
Gerüchte - jeder kannte ja jeden, und alle waren eifersüchtig
auf die Konkurrenz.
Ich nahm dabei die Position eines Hechtes im Karpfenteich ein:
war weder Züchter noch Verkäufer oder gar Käufer , sondern ein
(überwiegend unwillkommener) Betrachter mit Block und
Bleistift und Fotoapparat. Auskünfte erhielt ich im
wesentlichen von denen, die gar nicht erst im Rennen oder
schon wieder draußen waren, sowie von Island (zu dessen Partei
ich nach "Dick und Dalli" gerechnet wurde) und von den
vortragenden Wissenschaftlern, für deren Themen ich mich
brennend interessierte - im Gegensatz wohl zu den meisten
Verkäufern und Käufern, deren Wünsche vom Markt geprägt waren
und die der wissenschaftlichen Hintergründe wohl weithin zu
entraten können glaubten...
Ich betrachtete es als großes Glück, Leuten wie Professor J.G.Speed
zuhören zu dürfen, einem der bedeutendsten Hippologen unserer
Tage, der zusammen mit Hermann Ebhardt aus Hannover
eine Abstammungslehre
der Pferde entwickelt hatte, die auf vier Grundtypen
zurückgeht und inzwischen weltweit Beachtung findet.
Seine an sich trockenen Fachvorträge wurden brillant
abgesichert durch Fotos von Knochenfunden und deren Aufrissen.
Mir tat sich eine neue Welt auf: Ponys waren mir in meinem
bisherigen Reiterleben fast völlig fremd gewesen; nun erfuhr
ich, welchen ungeheuren Anteil sie an der Entstehung aller
Großpferderassen hatten, wie stark, charaktervoll und
eigenständig sie bis in unsere Zeit geblieben waren, wie
wichtig es war, sie rasserein zu erhalten - und auch, daß sie
weltweit ganz selbstverständlich von Erwachsenen geritten
wurden. Deutlich wurde mir, was in Lichtbildvortragen und
Gesprächen gesagt worden war, als mich im Anschluß an den
Kongreß Ewan Ormiston zu sich in den äußersten Norden
Schottlands, nach Newtonmore, einlud.
Die schottischen Züchter hatten sich mehr oder weniger
geschlagen vom Schlachtfeld zurückgezogen: Ihre Garrons
entsprachen in ihrer rauhen Ungeschlachtheit nicht dem
Schönheitsideal von kontinentalen Kaltblutzüchtern. Ich lernte
sie von einer anderen Seite kennen: als trittsichere, starke
Reitpferde in schwierigem Gelände.
Ewan
Ormiston war, als ich ihn kennenlernte, die
beherrschende Figur des Kongresses - ein Selfmademan reinsten
Wassers, der dreizehnjährig, als Analphabet, das einzige Paar
Schuhe im Taschentuch an den Stock über der Schulter geknüpft,
sein heimatliches Glasgow verlassen hatte und in die Berge
gegangen war. Dort besaß er inzwischen Jagdrechte an 140 000
Morgen schottischen Moor- und Heidegeländes, Fischrechte für
den Lachsfang an Schottlands schönsten Flüssen, sechs Hotels,
einen weltweit reichenden Export von Hirschfleisch - und 100
Highland Garrons, die während der Jagdsaison die geschossenen
Hirsche zu Tal trugen. Da die Saison nur wenige Monate
dauerte, standen sie während der übrigen Zeit ungenutzt herum
- enorm kräftige Tiere mit breitem Rücken, festen Beinen und
unerschütterlichem Temperament. Ewan Ormiston, der seinem
Einfallsreichtum und Weitblick Position und Vermögen
verdankte, erfand eine neue Beschäftigung für sie, die - ohne
daß er es damals ahnte - dazu bestimmt war, in großen Teilen
der Welt nachgeahmt zu werden: das "Ponytrekking".
Zusammen mit dem schottischen Ministerium für Touristik, das
ihn überzeugt unterstützte, wurden nun während der
Sommermonate Gruppen von sechs oder zwölf Ponys zusammen mit
einem Betreuer und Begleiter - der meist Student der
Veterinärmedizin der Universität Edinburg war - Hotels in
schöner Lage angeboten und dort den Gästen zur Verfügung
gestellt. Nach dem Krieg gab es noch wenig preiswerte,
einfache Formen der Entspannung für Ferien und Wochenenden im
eigenen Lande: hier war die Idee des Ponytrekkings
revolutionär. Reiten mußte man nicht können, denn die einzige
Gangart im schwierigen Gelände war der Schritt. So konnte
jeder per Pony Schottlands herrliche Landschaft erleben und
"sein eigenes" Pony holen, putzen, füttern und satteln.
Hausfrauen und Krankenschwestern, Schüler und Beamte,
Kaufleute und Lehrer, Einzelgänger und Familien konnten den
Traum vom eigenen Pferd auf Feriendauer wahrmachen. Alle
Zeitungen waren voll davon.
Heute kommt vielen das alles wie ein alter Hut vor - damals
war es aufregend neu, und ich sprach tagelang mit Ewan
Ormiston darüber, entschlossen, die Idee in die Bundesrepublik
zu bringen. Ewans wichtigste Bemerkung war: "Natürlich kann
man das nur mit urwüchsigen Ponys machen. Pferde sind im
Temperament zu anspruchsvoll." Mir Großpferdereiter mit
"klassischer" Ausbildung hätte das abwertend geklungen, wenn
ich nicht Frank Thies' Isländer und nun Ewans Garrons geritten
und schätzengelernt hätte. So aber bereicherte alles dies
meine noch jungen Erkenntnisse über Wert und
Einsatzmöglichkeit von Ponys enorm. Damals begann für mich ein
völlig neuer Lebensabschnitt (was ich natürlich nicht wußte):
Ponys aller Rassen sollten von nun ab im Mittelpunkt meines
schriftstellerischen Interesses stehen, gefolgt und begleitet
von dem in engem Zusammenhang damit stehenden Reichturm an
unterschiedlichen "anderen" Gangarten. Dem zaghaften ersten
Ausflug in fremde Pferdewelten folgten im Laufe der Jahrzehnte
Reisen in alle Kontinente auf den Spuren urtümlicher Pferde
und ihrer Gangarten.
Als erstes schrieb ich nach der Rückkehr in verschiedenen
Fachzeitschriften und größeren Zeitungen Artikel über das
Ponytrekking, mit dem Erfolg, daß ich helfen konnte, im
südlichen Schwarzwald mit 15 Islandpferden Deutschlands erstes
Trekkinghotel aus der Taufe zu heben - unter Anteilnahme fast
der gesamten damals wichtigen Presse übrigens. Nachfolger
fanden sich - heute hat diese Form angenehmer reiterlicher
Erholung sich nicht nur durchgesetzt, sondern ist eine
"Sportart" geworden mit eigenen Trekkingmeisterschaften!
Doch zurück zum deutschen Markt.
Als zwei Jahre später ein weiterer Ponyzüchterkongreß nach
Arnheim (Holland) einberufen wurde, war hinter den Kulissen
praktisch alles gelaufen: die Dänen hatten das Rennen gemacht
- sie verkauften die ersten Fjordponys an deutsche Bauern:
sehr runde, schwere, kaltblütige, kleine Pferde. Die Isländer
hatten sich nicht durchsetzen können.
Ein Angebot der isländischen Regierung, kostenlos mehrere
hundert Pferde zu einem Großeinsatz in der Landwirtschaft
herüberzuschicken, fand bei den deutschen
Kleinpferdezüchterverbänden keine Gegenliebe. Sicher trug dazu
bei, daß die Isländer bei weitem nicht die Erfahrung der Dänen
im Umgang mit dem Handelspartner Deutschland hatten und allzu
naiv allein auf die Qualität ihrer Pferde vertrauten. Daß im
Vergleich mit anderen Kleinpferderassen die Isländer eine
größere Arbeitsleistung erbrachten bei kostengünstigerer
Haltung, erhärtet eine damals erstellte Studie (die mir bald
vorlag). Auch Thies, Vorsitzender eines der vier bayrischen
Stammbücher, nahm viele eigene Tests vor, erlag jedoch bei
jeder Abstimmung als einzelner der geschlossenen Phalanx der
Gegenstimmen aus den eigenen und den übrigen Bundesländern.
(Die Wogen gingen damals hoch: Thies wurde völlig unsinnig der
"Ostspionage" angeklagt, vegetierte von Resten des Ersparten
und ist dann schlicht verhungert.)
Daß man sich offiziellerseits für das Fjordpferd - zunächst
aus Dänemark, dann natürlich auch aus dem Heimatland Norwegen
- entschied. hatte aber auch andere Gründe: Dieses Pony paßte
einfach besser in die bestehende Organisation, alle die aus
dem Krieg übriggebliebenen oder später geschulten Zucht- und
Materialrichter, Stammbuchbeamten und Kleinpferdezüchter waren
einfach nicht in der Lage, "umzusehen". Das Exterieur des
Isländers war ihnen fremd - abgeschlagene Kruppe,
Kuhhessigkeit. extrem lange Behaarung. anderer Halsaufsatz und
andere Gänge - es war einfach "zuviel" für die biederen
Ponyzüchter und ihre nicht weniger provinziellen Vertreter.
Hinzu kam, daß für den neuen Markt nun auch solche Züchter
produzieren wollten, die bislang Großpferde gezüchtet hatten.
Der damalige Norweger war ein verkleinertes Kaltblutpferd.
Körkommissionen, Materialrichter und Stutenbewerter übernahmen
einfach ein vertrautes Schema in verkleinertem Maßstab - sie
brauchten nicht umzulernen; sogar das Lederzeug konnte -
verkleinert - weiterverwendet werden.
Außerdem versprachen die Offiziellen der Züchterverbände
(nachdem sie sich hinter den Kulissen alle für dieses Pony
stark gemacht hatten) den Käufern des in Deutschland relativ
unbekannten Norwegers erstklassige Absatzchancen - ein
Versprechen, das einige von ihnen (sowie vor allem ihre
Nachfolger in den Verbänden) später bitter bereuten, als - wie
vorauszusehen gewesen war - kleinere landwirtschaftliche
Geräte den Absatz von Pferden und Ponys auf dem
landwirtschaftlichen Markt nahezu total zum Erliegen brachten.
Doch ich greife den Geschehnissen vor.
In Arnheim wurden die Weichen für eine ganz andere Entwicklung
gestellt, bei der nunmehr der Isländer eine entscheidende
Rolle spielte. Ich hatte nach Edinburg viel nachgedacht. und
das auch im Zusammenhang mit meiner eigenen Entwicklung. Bis
weit nach Kriegsende war ich erstklassig beritten gewesen, zum
Schluß auf einer angloarabischen Halbblutstute, einem
Beutepferd mit - wie sich viel später herausstellte -
hochinteressanter Geschichte. Sie starb 1950 weit über
dreißigjährig.
Ich zog aus der Kleinstadt (Weide am Stall, fünf Minuten vom
Haus) in die Großstadt um (Reitstall ohne Auslauf, mitten
zwischen den Häusern) - an Pferdehaltung war also nicht zu
denken, zumal ich auch schon begann, auf mehrmonatigen Reisen
Material für Bücher zu sammeln. Nach Edinburg und Newtonmoor
und vor allem den Ritten auf Thies' Isländern begann ich aber,
mich mit dem Gedanken an ein Pony als Reitpferd zu
beschäftigen: Untergestellt bei einem Bauern irgendwo in der
Umgebung von Bonn (den ich mit dem soeben erstandenen ersten
Auto würde erreichen können), sollte es sich Bewegung selber
verschaffen, wenn ich nicht da war , es zu reiten; so blieb es
- wie ich es gewohnt war - "mein" Pferd, dessen Maul kein
Mitreiter verderben konnte. Ein wirklich ursprüngliches Pony
brauchte, wie ich in Edinburg und Arnheim lernte, in unseren
Breiten keinen festen Winterstall, sondern nur einen stabilen
Wetterschutz, reichlich Heu und frisches Wasser. Es klang
verlockend!
Stimmte es auch?
Gunnar Bjarnason behauptete es in Arnheim unter Tränen;
für ihn gab es einfach auf der Welt kein besseres, rundum
reichlicher einsetzbares Pferd - und von seinen
Reiteigenschaften schwärmte er bei Vorträgen und in Gesprächen
(nicht, ohne es den anwesenden Vertretern der Landwirtschaft
nur noch suspekter zu machen. Wie gesagt: Verkäufer waren die
Isländer damals noch nicht.) Eben erst hatte er fünf
ausgesuchte Islandpferde nach England gebracht, um sie dort
bekannt zu machen. Was ihm bisher als einziges gelungen war,
war, daß eines der Pferde vor 3000 Zuschauern den Inspekteur
der schottischen Kavallerie in hohem Bogen auf die Erde
beförderte. Was Gunnar dabei wild begeisterte - nämlich das
lebhafte Temperament seiner Isländer - machte sie in
Schottland nicht eben populär (was er überhaupt nicht
begriff).
Schlimmer war schon, daß sich kein einziger Käufer für eines
der fünf Pferde gefunden hatte und er nun nicht wußte, was er
mit ihnen machen sollte. Sie nach Island zurückzubringen war
wegen eines tausendjährigen Gesetzes unmöglich**), das
jegliche Ein- (oder Rück-)führung von Tieren aller Art strikte
verbietet. Island ist praktisch seuchenfrei und fürchtete seit
jeher, daß Seuchenerreger vom Kontinent mit eingeführt werden
könnten. Was Gunnar Bjarnason einfach nicht bedacht (oder,
wahrscheinlicher, nicht für wichtig genommen) hatte, war, daß
England am reichsten mit eigenen, eingeborenen Ponyrassen -
elf an der Zahl - gesegnet ist, und Konkurrenz für sie so
dringend brauchte wie das Ruhrgebiet ausländische Kohle.
So standen die Dinge, als ich von Arnheim nach Hause fuhr:
Dann überstürzten sie sich. Mein Verlag teilte mir mit, daß
sich ein Filmproduzent für die Rechte an "Dick und Dalli"
interessiere. Es gab lange Verhandlungen, dann einen Wechsel
der Produzenten, neue Drehbücher - schließlich aber die
entscheidende Verhandlung mit der "Arca"-Film in Göttingen.
Nachdem wir uns ein wenig beschnuppert hatten, bot mir der
Produzent - ungeachtet der in Filmkreisen unangenehmen
Tatsache, damit den Autor des Buches ins Team zu nehmen - an,
die Pferde zu besorgen, zu betreuen und die künftigen Reiter
auf ihnen zu unterrichten. Noch in Göttingen schickten wir
Gunnar ein Telegramm nach Edinburg und kauften unbesehen die
fünf Isländer. Sie kosteten pro Stück 1300 DM, also fast ein
Drittel eines neuen Volkswagens.
Überglücklich brachte Gunnar sie nach Antwerpen. Dort traf ich
ihn und arrangierte den Transport nach Bonn, wo ich bei Hugo
von Kintzel auf Burg Miel eine Bleibe für sie gefunden
hatte. Von Kintzel war nicht nur Vorsitzender des Rheinischen
Kleinpferdestammbuches, sondern auch Züchter (Shettys,
Rheinisches Warmblut) und weit über das Rheinland hinaus
bekannt als Fahrer von Shetland-Turniergespannen mit drei,
vier, fünf und sechs Ponys. Von den Isländern hielt er vom
ersten Augenblick an gar nichts, schätzte mich aber als Kenner
trockener Weine, die auch er bevorzugte. So brach zumindest im
Laufe der Jahre das Gespräch nicht ab.
Beim ersten Besuch kamen mir seine Kinder entgegen, zwei
Mädchen, zwei Jungen. "Aha - die künftigen Reiter", begrüßte
ich sie, worauf mir der darob gar nicht stolze Vater erklärte:
"Nein, sie interessieren sich leider alle nicht für Pferde."
Das taten sie auch nicht - aber Isländer waren etwas
ganz anderes! Ich hatte niemals Sorge, die restlichen vier
Ponys unterzubringen.
Das fünfte ritt ich selber, und zwar ausschließlich. Es war
Sóti, jener Temperamentsbolzen, der einen schottischen General
das Fürchten gelehrt hatte. Ein Pferd mit weicheren Gängen,
mit schwingenderem Tölt und schönerer, natürlicherer
Aufrichtung habe ich unter den Isländern nie wieder gefunden -
aber auch keines mit geschundenerem Maul. Es war dick
angeschwollen, rot und natürlich überaus empfindlich. Der
leiseste Zug am Zügel machte ihn wahnsinnig, ließ ihn steil in
die Luft gehen und dann besinnungslos wegrennen. Ich versuchte
es mit einer ganz weichen Gummitrense, und die behielt er, bis
er (1975) mit über 31 Jahren gestorben ist.
Hier muss ich, den Fluss der Geschichte abermals
unterbrechend, ein Erlebnis einschieben, das meinen heutigen
Lesern wie aus der Steinzeit vorkommen wird. Gunnar blieb
damals zwei Tage in Miel. Wir tölteten herrlich - außer dem
perfekten Tölter Sóti befand sich in der Gruppe ein
Prachtfuchs namens Blesi - rund, stattlich, golden, mit
angenehmem Temperament. Dann flog Gunnar nach Island zurück
mit klingklarem Gewissen: Die Pferde waren untergebracht und
bezahlt - "Mission beendet". Zurück blieb ich. Mit fünf
Isländern und fünf Gangarten. Blakkur und Jarpur trabten - das
war einfach. Gráni ging Pass. Immer. Das war auch noch zu
bewältigen. Aber Blesi und Sóti tölteten - das heißt, sie
tölteten nach drei Tagen nicht mehr. Soti ging irgendetwas
Undefinierbares, und ich saß im Sattel und heulte. Ich weiß
es, als wäre es gestern gewesen: Ich heulte wie ein
Schlosshund! Da war ich nun, eine ausgewachsene deutsche
Reitlehrerin (mit Brief und Siegel), und mein Pferd töltete
nicht mehr... ! Ich war der einzige Mensch in ganz
Kontinentaleuropa, der einen isländischen Supertölter besaß -
und ihn nicht reiten konnte! Sóti ging alles - nur keinen
Tölt. Ich hatte ihn "weggeritten"! Kein Lehrer weit und
breit... Sóti ging etwas sehr Bequemes. Es war wie "perlucca -
perlacca", von rechts nach links schwingend, und er konnte es
stundenlang gehen - aber ich bin nun mal ein Perfektionist,
und ich wollte tölten!
Liebe töltende Leser von heute - stellen Sie sich meine
Bedrängnis vor: Niemand war da, der es mir zeigen konnte! Niemand...
Ich war verzweifelt. Ich schrieb Briefe nach Island, aber wer
hätte mir dort helfen können? Die Isländer verstanden ja nicht
einmal meine Not - Tölten, das ist etwas, das jeder kann...
Wäre ich im Innersten meines Herzens ein "normaler" Reiter
gewesen, hätte ich damals aufgegeben. Hatte ich das nötig?
Konnten diese Pferde auch nur andeutungsweise das, was ich
konnte? Klassische Dressur? Nein! Weshalb sollte ich mich
herumquälen? Ich zeigte ein Bild, das ein Freund vom töltenden
Sóti gemacht hatte, einem anderen Freund, der war Fachmann.
War Dressurrichter, war jemand. - Was sagte er? "Weggedrückter
Rücken, hochgeworfener Hals, unreine Gangart."
Es sollte noch viel, viel schlimmer kommen.
Der erste Sommer mit fünf Isländern. Beim Wein waren wir uns
einig, Hugo von Kintzel und ich: "Sehr gute Pferde, wenn
man sie klein mag. Aber was soll man mit ihnen machen?
Niemand will sie. Wir brauchen große Pferde zum Springen und
so." Zum Glück stieß damals Friedrich Falkner zu
mir, seines Zeichens Puppenschnitzer - und Islandpferdefan mit
langjähriger Islanderfahrung. Ich brauchte ihn, weil meine
Filmgesellschaft aus irgendwelchen, heute nicht mehr
nachvollziehbaren Gründen die Produktion... um ein Jahr
aufschob! Sie beschloss einfach (und teilte es mir höflich per
eingeschriebenem Brief mit), erst im nächsten Mai anzufangen.
Bis dahin ging mein Vertrag weiter: Pferde unterbringen,
versorgen, reiten...
Ich musste, um Geld zu verdienen und weil es mein Beruf war,
Bücher schreiben - Friedrich kümmerte sich um die Pferde. Er
zeigte mir, wie man töltet - aber das war einfacher bei seinen
Pferden (die er aus Island mitgebracht hatte) als bei Sóti.
Irgendwann kam Gunnar wieder - er kam um jene Zeit immer
irgendwann mal wieder, weil er glaubte, das Islandpferd hätte,
weil ich da war, in Deutschland doch noch eine Zukunft.
Irgendwann lernte ich, Sóti zu tölten - da war ich glücklich.
Alles andere ging langsam seinen Gang. Ich überzeugte mich ein
Jahr lang von den Qualitäten der Isländer - und schrieb Bücher
über andere Pferde. "Die Mädchen vom Immenhof" gingen
tatsächlich in Produktion - die Pferde und ich wurden nach
Schleswig-Holstein transportiert, nach Eutin und Malente.
Gunnar kam wieder von Island, aber Sóti zitterte, als er
Isländisch hörte. Da weinte Gunnar. Es waren aufregende und
sehr emotionale Zeiten damals... - Der Film wurde fertig:
Heidi Brühl, Angelika Meißner, Mathias Fuchs und Paul Klinger
hatten reiten gelernt, Zeit genug war vorhanden, wir drehten
drei Monate lang - undenkbar heute.
Hin und wieder kamen ein paar Presseleute, sie schrieben über
die Darsteller, nicht über die Pferde. Die gingen zurück nach
Miel, wo Hugo von Kintzel mitleidig zu mir sagte: "Aber
mehr als 400 Mark kriegen Sie doch für ein solches Kinderpony
nicht." An Reitern fehlte es mir nicht: Alle Kleinen von
Kintzels - Kinder und Neffe - waren prompt wieder zur Stelle.
Sie liebten die Isländer. Außer ihnen niemand.
Inzwischen wurden, mit Hilfe der Verbände, norwegische
Fjordpferde als Zugtiere für die Landwirtschaft eingeführt -
mit schlussendlich dem eingangs erwähnten Desaster: Es gab
keinen Markt mehr für sie. Dafür aber wurden die "Mädchen vom
Immenhof" enthusiastisch aufgenommen von den Filmbesuchern der
fünfziger Jahre: Da war Natur, Unbekümmertheit, waren Kinder
und Ponys und Lieder - heile Welt. Der Produzent beschloss,
eine Fortsetzung zu drehen und gab mir den Auftrag, ein
Drehbuch zu schreiben. Das tat ich dann, während der treue
Friedrich in Miel wieder die Ponys betreute und die Kinder sie
begeistert ritten. Und die Welt sie nicht kannte.
Ich schrieb Artikel, die die Fachpresse nicht haben wollte.
Machte den zweiten Film und stieg aus, ehe der dritte
(unbeschreiblich primitive) in Produktion ging. (Irgendwo
verliert ein immer länger gezogenes Gummi einfach seine
Elastizität.) Niemand wollte die Ponys haben - die Produktion
schenkte mir Sóti; nach vielem Hin und Her landeten auch Gráni
und Blakkur wieder in Miel.
Es ist lange her, aber wenn ich damals nicht durchgehalten
hätte, gäbe es heute wohl kaum eine europaweite Entwicklung
dieser so speziell angefeindeten Rasse mit Tölt und Pass, es
gäbe allenfalls so viele Isländer wie Connemaras und
New-Forest-Ponys - Spaß für eine Handvoll Spezialisten. 30 000
Isländer, die fast ebenso viele Menschen glücklich machen -
nein, das gäbe es nicht. Dazu war mein Starrsinn nötig (der
sich mittlerweile auf die Erfahrung von drei Jahren und mit
über 20 Islandpferden stützte - so viele hatten wir für den
zweiten Immenhof-Film gekauft - und durch tägliches eigenes
Reiten eines so wundervollen Pferdes wie Sóti erhärtet wurde).
Nötig war auch die zu Papier gebrachte Begeisterung eines
Schriftstellers: "Ponies" erschien 1957; ein Buch über
sämtliche damals in Deutschland vertretenen Rassen, das nun
nicht nur die üblichen Fachschilderungen über Exterieur und
Zugleistung brachte, sondern erstmals auf die gemeinsame
Historie dieser urtümlichen, miteinander verwandten
Pferdearten einging und ausführlich neue Verwendungszwecke für
sie im Leben der Nachkriegseuropäer schilderte. Ich behauptete
- und belegte es mit Fotos aus aller Welt -, dass Pferde um
130 Zentimeter von Erwachsenen reitbar seien und auch dem
empfindsamen Reiter exquisites Vergnügen im Sattel bereiten
könnten. Die Stürme der Empörung, die sich darob erhoben,
hätten auch nur wenige Menschen überstanden. Die Reiter, die
den Krieg überlebt hatten, trugen das Bild des "schneidigen"
Offiziers in sich und betrachteten Ponys (struppige überdies!)
als Beleidigung. Alle offiziellen Stellen der Reiterei -
angefangen von den Dachverbänden in Warendorf bis hin zu den
einzelnen Stammbüchern und der wichtigeren Presse - erhielten
ein empörtes Schreiben der Wahrendorff'schen Anstalten
in Ilten bei Hannover. Dort wurden seit 1904 Isländer in einem
kleinen Gestüt gezüchtet und - im Umgang mit den geistig
Behinderten der Anstalt - in der Landwirtschaft eingesetzt.
Nun behauptete der Leiter dieses ältesten Islandgestüts auf
dem Kontinent, "dass kein deutscher Mann von Ehre"
sich jemals auf ein solches Pony setzen werde. Eine
Prophezeiung, die zwar gottlob nicht eintraf (da nicht alle
ehrenhaften deutschen Männer auch "schneidige" Vorstellungen
von sich hatten), jedoch damals Wasser auf die Mühlen der
Großpferde (=Reitpferde) züchtenden Verbände war.
Beim vorletzten "Internationalen Ponyzüchterkongress" in
Kopenhagen wurde ich noch eingeladen, einen Lichtbildervortrag
über meine Arbeit mit Islandpferden beim Film zu halten. Der
Vortrag war ein Erfolg - ich war es nicht. Der damalige Chef
der deutschen Ponyzüchterverbände erklärte mir vor
internationalem Publikum, ich sei schlechthin "der Ruin
der deutschen Pferdezucht" - was entschieden
einige Oktaven zu hoch gegriffen war... Aber damals tat es
weh. Die vereinigten deutschen Ponyzüchterverbände, die ja von
der Sache her - nämlich der Erhaltung und Verbreiterung ihrer
Zuchten - meine Freunde hätten sein müssen, waren mir gram aus
ganz internen Gründen. Sie propagierten einzig und allein ein
Pony für die Landwirtschaft, für den Zugdienst, nicht fürs
Reiten. Beim Reiten - das sah ein Blinder - wollten sie den
deutschen Großpferdezüchtern nicht ins Gehege kommen (die
hatten ohnehin schwer genug zu kämpfen), und man sass - unter
dem gemeinsamen Dach der "Deutschen Reiterlichen Vereinigung
FN" - ja im gleichen Boot. So wurde aus einem begeisterten
Aussenseiter, der rundum nur Freude verbreiten wollte (und das
mit den simplen Mitteln rund ums Pony), eine Bedrohung für der
Welt grössten Pferdeverband!
Ob das aber gereicht hätte, die Isländer bei uns wirklich
durchzusetzen, muss bezweifelt werden.
Es war eben noch etwas nötig - ein kleiner Schlenker des
Schicksals. Und der ergab sich so:
Gunnar Bjarnason brachte mich in Kontakt mit der Hamburger Im-
und Exportfirma Jordan und Rohlfs, vertreten durch Frau Ulla
Schaumburg. Die Firma war seit Jahrzehnten spezialisiert
auf den Handel mit Island. In den frühen fünfziger Jahren aber
ergab sich eine bedauerliche Einseitigkeit in dieser
Geschäftsverbindung: Island brauchte zwar eine Menge
Handelsware vom Kontinent, hatte aber selber wenig zu bieten,
was die Schiffe auf der Rückreise belud. Gunnar war überzeugt,
dass "Pferde" die Antwort waren - falls sie jemand auf dem
Kontinent haben wollte. Es wollte aber niemand.
Das heisst, hier und da wollte schon einer: Meine Freunde,
Ulla Schaumburgs Freunde, Friedrich Falkners Freunde und
schließlich auch der eine oder andere Islandbesucher. Zehn
Pferde wurden mitgebracht, nochmal zehn - es läpperte sich so.
Und dann kam ein hektisch-verzweifelter Anruf aus Hamburg.
Ich sass gerade mit einem Journalisten zusammen, der ein
Interview mit mir machen und dabei auch die isländischen
Pferde erwähnen wollte. So hatten wir es abgesprochen.
Dann, wie gesagt, der Anruf: "Ich glaube, ich habe eine
schreckliche Dummheit gemacht! Als wir vor zwei Wochen in
Island die zehn bestellten Stuten aussuchten, sah ich, dass
von jeder ein Fohlen weggeführt wurde. Ich erfuhr, dass sie
geschlachtet werden sollten. Mütter und Kinder jammerten
fürchterlich - es war zuviel, ich konnte es nicht ertragen -
und da habe ich die Fohlen gleich mitgekauft! Jetzt gibt es
hier mächtigen Ärger; ich habe acht unbestellte Fohlen
herumstehen, die Stuten gehen ja gleich an die Käufer weiter -
nur zwei nehmen die Fohlen dazu. Was soll ich machen?"
Mir kam es nicht so schlimm vor. Ich tröstete: "Acht Fohlen -
die wird man doch los! Ich fange gleich mal an, rumzuhören.
Was sollen sie denn kosten?" Wenig, hörte ich. Einkauf,
Fracht, Unkosten - so um 350 DM.
Journalisten sind von Berufs wegen neugierig. "Fohlen? Ist was
damit?" Ich erzählte ihm die Geschichte, und er meinte: "Das
nehmen wir einfach mit in den Artikel auf." Für mich war damit
die Sache erledigt bis auf ein paar Anrufe bei Freunden und -
am gleichen Abend - drei verkauften Fohlen. Mein freundlicher
Journalist aber wollte ganz sicher gehen und gab auch noch
eine Meldung an eine landesweit operierende Agentur durch -
und das war dann des Schicksals Schlenker. Der Sturm - was
sage ich: der Orkan - brach los: Rettet die Fohlen vor dem Schlachtmesser!
schrie es in fetten Oberschriften anderntags von den Seiten
Dutzender von Zeitungen.
In Island gehört Pferdefleisch seit der Besiedlung zur
lebensnotwendigen, lebenserhaltenden Nahrung. Auf der Insel,
auf der nur in wenigen Sommern genügend Gras zum Heumachen
wächst und überhaupt kein Getreide, konnten von Anfang an nur
Haustiere überleben, die sich ganzjährig selber ernähren
konnten: also Schaf und Pferd. Für Schwein und Rind war die
Futtergrundlage viel zu schmal, hatten doch jahrhundertlang
die Menschen selber nicht genug zu essen. Fohlen wurden und
werden geschlachtet wie hierzulande die Kälber und Jungrinder;
sie gehen gleich nach der Geburt mit der Mutter in die Berge
und werden nach dem Abtrieb getötet. Eine enge Bindung an den
Menschen entsteht dabei gar nicht erst.
Alle diejenigen eifrigen Schreiber, die sich der obigen
Agenturmeldung bedienten, um kurze oder lange, immer aber
herzrührende Geschichten daraus zu machen, wussten es nicht,
bedachten es nicht oder ließen es schlicht ausser acht um des
Geschäftes willen. Keine Zeitung ohne verlängerte Meldung,
keine Illustrierte ohne Geschichte. Sehr bald verschwammen
Fakten im Morast sich überschlagender Groteskphantasien. Eine
Fernsehillustrierte mit Riesenpublikum schrieb: "...und
nicht mehr als das Briefporto kostet so ein armes,
mutterloses Fohlen..." Verrückter ging es nun wirklich
nicht mehr.
Ich beauftragte zwei Ausschnittsammler, mir zuzuschicken, was
sie nur finden konnten. Es füllte drei dicke, 40 x 60 cm große
Bücher, bis ich es aufgab, weiter einzukleben. Mein Telefon
stand nicht mehr still, offizielle Briefe trafen ein - der
Inhalt war immer derselbe:"Wie können Sie so etwas
nur tun!? So verkauft man doch keine Pferde! Das ist
unanständig, unverantwortlich - Sie müssen ein wahres
Monster an Geschäftsgier sein!"
Nun - Geschäfte wurden gemacht, denn auch bei Jordan und
Rohlfs standen Telefon und Telexschreiber nicht still: Fohlen
wurden zu Dutzenden bestellt - überwiegend zwei ("..ein
Pärchen"), und die Aufträge an Island wurden tagtäglich
umfangreicher, bis die Regierung dort einen totalen
Schlachtstopp anbefahl, weil sonst die Bestellungen gar nicht
ausgeführt werden konnten. Schon drei Wochen später war das
erste Schiff mit 300 Fohlen in Hamburg und wurde, natürlich
unter Beisein der versammelten deutschen Presse, entladen.
Wieder füllten Geschichten die Blätter, diesmal von den
rührenden Szenen der Begrüssung zwischen Fohlen und neuen
Besitzern.
Wieder liefen Telefon und Telex heiss. Die Texte worden immer
verrückter. Ulla Schaumburg erzählte mir abends am Telefon
davon: "Heute kam ein Telex aus Ulm, von einem VW-
Großhändler. ,Ordere hiermit ein Pärchen.' Rückfrage
aus Hamburg: ,Haben Sie Farbwünsche?' Antwort aus Ulm:
,Farbe gleichgültig - werden doch umgespritzt.'" Ein
Scherz? Sicher. Aber so ganz genau wusste man eben doch nicht,
welche Vorstellungen die vielen "mitleidigen Seelen" hatten...
Mir wurde - ganz ohne die Unterstützung obenerwähnter Briefe
und Telefonate seitens derer, die mir übel wollten - bange ums
Herz.
Was hatte ich, ohne es im geringsten zu ahnen, geschweige denn
zu wollen, da bloß in Bewegung gesetzt?
Man musste handeln (etwas, das mir in jeder Lebenslage
geholfen hat und hilft). So entwarf ich einen ersten
Informationsbrief des Inhalts: "Was braucht mein Fohlen?" und
bat die Hamburger, ihn jedem Käufer mitzugeben.
Da waren die ersten Schiffe aber schon verteilt, und ich fuhr
selbst nach Hamburg und suchte mühsam so viele Käuferadressen
heraus wie nur möglich. Einige hundert Informationsbriefe
wurden dann von Bonn aus versandt; da sie eine Absenderadresse
trugen, kamen Antwortbriefe der Ratlosen zurück, die sehr bald
merkten, dass zwischen Fohlen und Meerschweinchen erhebliche
Unterschiede bestanden. Und während - vollauf berechtigt, denn
es war ja ihr Geschäft - die Verkäufer in Island und die
Importeure in Deutschland und selbst die Journalisten mit
immer weiteren Geschichten Geld verdienten, gab ich es nur
aus.
Wie ich denn - das möchte ich einmal ganz deutlich sagen - am
gesamten Islandhandel weder zu Anfang noch später jemals eine
müde Mark verdient habe. Zuerst war ich von den Pferden selber
und den völlig neuen Möglichkeiten, die sie völlig neuen
Kreisen von pferdelieben Menschen eröffneten, begeistert und
dann sofort in einen Kampf mit all denen, die nicht
dergleichen sahen (oder sehen wollten) verwickelt, um gleich
anschließend die geschilderte innere Verpflichtung zu Hilfen
und Aufklärung zu verspüren. Geld gab mir dafür niemand.
Auch war Geld nicht das Wichtigste. Jahrelang war es meine
Zeit, die an die Sache ging. Briefe kamen waschkörbeweise und
wollten beantwortet werden, das Telefon klingelte noch um
Mitternacht, die erbetenen Auskünfte waren lang und
zeitraubend, Besucher standen einfach vor der Tür, sei es, um
im persönlichen Gespräch Rat zu holen, sei es, um diese
merkwürdigen Isländer selber zu sehen, möglichst auch
auszuprobieren. Alle nahmen an, ich säße auf einem Bauernhof,
die Pferde liefen ums Haus. Ich aber wohnte mitten in Bonn,
und jede Besichtigung, jeder Ritt kostete einen halben bis
einen ganzen Tag, zumal ja die Gespräche und Diskussionen
endlos weitergingen.
Von der Zähigkeit des Widerstandes seitens der offiziellen
deutschen Pferdeorganisationen - Zucht und Reiterei - kann
sich ein heutiger Leser keine Vorstellung mehr machen. Es
wurde ein Machtkampf daraus, den ich nur heil überstehen
konnte, weil ich nicht - wie einst Frank Thies - abhängig war
von dieser (oder irgendeiner anderen) Organisation. Einem
Schriftsteller kann man den Mund nicht verbieten (obwohl auch
Drohungen wie diese mich erreichten: "Wir werden dafür
sorgen, dass das Buch nicht verkauft wird!" -
Vergeblich, da ja nicht in jeder Buchhandlung neben jedem
meiner Bücher jemand stehen konnte, der Interessenten vom Kauf
abhielt). Und da zuerst "Heißgeliebte Islandpferde" und dann
"Reiterträume" von einer nach Natur und Natürlichkeit, nach
Tier und Glück mit Tieren verlangenden Käuferschicht gern
angenommen wurden, war auch mein Verleger (überdies Schweizer)
von "besorgten" Interventionen nicht zu beeinflussen.
Versucht freilich wurde alles. Der Tierschutz wurde mobil
gemacht, weil die Struppigen keinen festen Stall hatten,
Universitätskliniken töteten die flachatmigen Nordländer wegen
"unheilbaren Dampfs" und bestätigten den entsetzten Besitzern
perfekter Tölter, dass ihre Tiere ebenso unheilbar lahm seien;
Kollegenzeitschriften gossen Spott und Hohn über mich aus,
weil ich "sowas" allen Ernstes zum Reiten empfahl,
Fachkollegen schrieben "Fach"artikel zum Thema: "Der Tölt -
Tierquälerei?", und richtige Reiter bemühten sich, ihn den
Pferden wieder wegzureiten. Nicht alles davon ist bis heute
verschwunden; immer noch tauchen hier und da in der
Sauren-Gurken-Zeit die alten Hüte wieder auf - das
Islandpferd haben sie den Menschen nicht vermiesen können.
Wohl aber ist zu sagen, dass keine einzige andere Pferderasse
so gründlich, so lange und mit solcher Emotion bekämpft worden
ist... Und dass auch keine andere Pferderasse soviel in
Bewegung gesetzt hat für so viele andere Rassen: Der Kampf,
der ums Islandpferd als Reitpferd geführt wurde, kam später allen
den in der Landwirtschaft überflüssig gewordenen Norwegern
und Haflingern zugute (die inzwischen leichter und rittiger
gezüchtet werden) wie auch den Connemaras, Bosniaken, New
Forests (die zunehmend ins Land kamen) und all denjenigen, die
unter dem Sammelbegriff "Deutsches Reitpony" inzwischen
"erfunden" wurden. Sie sind sämtlich aus der modernen
Freizeit- und vielen Zweigen der Sportreiterei als
Erwachsenenreitpferde gar nicht mehr wegzudenken.
Mir wurde sehr bald klar, dass ich alle die zahlreichen
einzelnen Briefe nicht mehr allein würde beantworten können;
schweren Herzens gab ich eine Anzeige auf für eine Hilfe, die
stundenweise an den Briefen mitarbeiten sollte. Finanziell
konnte ich es mir eigentlich nicht leisten, aber was blieb
übrig, wenn ich überhaupt noch mit Übersetzungen und Gutachten
Geld verdienen wollte? Es meldete sich eine junge Frau. Sie
hieß Erika E. Müller. Bald ergab sich, dass die Briefe
zwar zahlreich, die darin angesprochenen Probleme jedoch
überwiegend gleich waren: Ich beschloss, sie allgemein zu
beantworten und statt einzelner Briefe eine
"Ponykorrespondenz" zu versenden. Das Exemplar - auf Matrize
geschrieben und handabgezogen auf einem alten
VervielfäItigungsapparat - berechneten wir mit 2 DM und
hofften, irgendwann unsere Unkosten damit zurückzubekommen.
Hofften - denn noch ahnten wir ja nicht, wer ein solches
Informationsblatt abonnieren würde; ausserdem wurde es immer
zu lang (und damit zu teuer), weil die Fragen ungemein
ausführlich behandelt werden mussten, da die Frager ja
überwiegend völlige Laien waren.
Nun, das Echo war für die damaligen Verhältnisse
überwältigend: Mehr als 200 Leser abonnierten sofort. Alle
waren begeistert, und diese Begeisterung liess wiederum uns
durchhalten. Einfach war es nicht, denn die geschilderten
Abhaltungen ließen kontinuierliche Arbeit kaum zu. Doch das
Glück, Gleichgesinnte getroffen zu haben, war auf beiden
Seiten so groß, dass die meisten meiner Freundschaften auf dem
Gebiet der Pferde und des Reitens aus jener Frühzeit stammen.
Es dauerte nicht lange, da ging es nicht mehr nur um Fohlen:
Erstaunlich viele Besitzer dieser Kleinen hatten inzwischen
ein oder zwei Ausgewachsene hinzugekauft, weil sie es nicht
abwarten konnten oder wollten, bis die Fohlen mit fünf Jahren
reitbar geworden waren. Und ganz, ganz erstaunlich und
erfreulich war, wie viele derer, die aus dem Überschwang des
Herzens und ohne Vorkenntnisse gekauft hatten, zu diesem
Entschluss standen und die Tiere behielten, sie liebe- und
mühevoll pflegten und durch sie und mit ihnen im Laufe der
Jahre zu kenntnisreichen Pferdebesitzern und guten,
verständnisvollen Reitern geworden sind.
Die "Sorge" meiner Gegner, es werde Tote und Schwerverletzte
in Massen geben, teilte ich ohnehin nie - wer mit Tieren, ganz
gleich welcher Art - "mit Familienanschluss" lebt, kennt sie
sehr bald gründlich, weiss mit ihnen umzugehen und wird
andererseits auch von ihnen behutsamer behandelt.
Natürlich bedarf es beim Umgang mit dem Pferd der besonderen
Kenntnisse - aber die kann man schliesslich lernen, so man
guten Willens ist. Fast alle meiner Abonnenten waren es, wie
aus den zahlreichen Briefen und Gesprächen hervorging. Sie
konnten nie genug wissen - und so gründete ich, um den
Zusammenhalt untereinander zu stärken und den
Erfahrungsaustausch zu fördern, den "Deutschen Ponyklub e.V."
für die Besitzer von Ponys aller Rassen. (Aus ihm ging später,
unter anderer Leitung, der IPZV = Islandpferde-Züchter- und
Besitzer-Verein hervor.) Erika E. Müller und ich
konzentrierten uns darauf, aus der anfänglichen
Ponykorrespondenz zuerst eine kleine, gedruckte "Pony-Post"
und dann die FREIZEIT IM SATTEL
zu entwickeln (die uns seit vielen Jahren zu gleichen Teilen
und unabhängig von jedwedem Verband gehört), die weiterhin für
alle Pony- und Pferderassen offen ist und ihren Besitzern "zeigt,
wie man's macht".
(-geschrieben 1984-)
--
Anmerkung:
**) Hier war UB wohl Gunnar (damals Landeszuchtleiter Islandpferde,
und einer der Weichensteller für das moderne Island-Reitpferd) auf
den Leim gegangen. Vielleicht war er doch kein so schlechter
Verkäufer -- oder gerade im Begriff, ein guter zu werden...
Wie die schöne Mär von der tausendjährigen Reinzucht der
Islandponys in der FS oft und lang wiederholt wurde, und
sicher noch immer nicht aus allen Köpfen entschwunden ist.
Aber - sie ist ja auch so schön, dass sie wahr sein sollte,
man sie einfach wahr machen möchte... Heute, wo niemand
mehr die Qualität des Islandpferds bezweifelt, spielt das alles
keine Rolle mehr -- aber man sollte trotzdem die Wahrheit über
diese, eigentlich recht junge, Reinzucht-Ponyrasse sagen : Das
Gesetz zum Pferdeimportverbot auf Island bestand damals erst ein
paar Jahrzehnte..!