taunusreiter TAUNUSREITER
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Neu  Januar 2016     (Update Juni 2016)

Der unbeschlagene Huf

Ich bearbeite nun mehr als 35 Jahren Pferdehufe1), musste feststellen dass das Allgemeinwissen um den Pferdehuf in den letzten 10 Jahren unter Pferdehaltern bedenklich nachgelassen hat, und selten so schlecht war wie im Zeitalter der kostenlosen Facebook-"Weisheiten". Einerseits gab es noch nie soviele gute und sehr gute Hufpfleger und Hufschmiede, andererseits auch noch nie soviele schlechte - samt Hufbearbeiter-Webseiten die den größten Schwachsinn verkünden. Und noch nie soviele Leute mit starken, gänzlich uninformierten Meinungen - einige davon schreiben sogar Bücher. Leute die etwas noch nicht einmal zur Hälfte gelernt haben versuchen schon Geld damit zu verdienen. Indes wirkt nirgendwo auf dem Gebiet der Pferdewissenschaft Halbwissen so schnell schädlich, bis hin zu Folgen überflüssiger Schmerzen und langdauernden Unbrauchbarkeit des Pferdes, wie bei den Dingen die mit dem Pferdehuf zu tun haben.
Die "Ethischen Grundsätze" und das Tierschutzgesetz verlangen von uns Pferdebesitzern, das menschenmögliche zu tun, um unnötige Schmerzen des Pferdes zu vermeiden. D.h. wir als Pferdebesitzer dürfen niemals mit den Achseln zucken und sagen "ist halt so". Wir sind verantwortlich. Auch daran, wen wir zur Hufbearbeitung an unser Pferd lassen. Nicht der Hufschmied, nicht der Hufpfleger - das können Leute vom Fach, aber auch die größten Idioten und Billigheimer sein - sondern wir. Das vorab.

Glaubenssätze rund um den Huf

Es gibt "Profis am Huf" (auch wenn sie es nicht für Geld machen) mit denen kann man sich stundenlang, interessant und leidenschaftlich über Spezialfälle des Beschlags und Hufschutz unterhalten, und das Gespräch wird über die Erörterung spezieller Anwendungs-Umstände kein Ende nehmen. Und es gibt andere Leute, die machen den Mund auf, und verkünden Sätze im Brustton der Überzeugung, als hätten sie etwas wichtiges gesagt, und jede Debatte ist damit im Ansatz erledigt. In Wahrheit verkünden sie gequirlten Mist, aber ahnungslose Laien lesen die Worte wie gebannt von ihren Lippen, besonders wenn das, was da verkündet wird, ihnen noch hilft Geld zu sparen, also z.B. dass sie keinen teuren Beschlag bräuchten. Die Aussicht, über solche Sätze zu diskutieren, habe ich in langen Jahren gelernt, ist gleich Null, denn für diejenigen die davon überzeugt sind, ist die Realität dazu da um ihre Theorien zu beweisen, anstatt dass die Theorie durch die Realität der Welt bestimmt wird. Unglücklicherweise haben Leute umso mehr Theorien und sind umso dogmatischer, desto weniger Ahnung sie haben. Daran kann man sie unfehlbar erkennen. Von erfahrenen Hufbearbeitern und Hufschmieden, die gute Arbeit leisten, und die allesamt Pragmatiker sind, wird man Sätze wie die folgenden nie hören. Ein Profibearbeiter disqualifiziert sich mit ihnen damit auf der Stelle. Und an erster Stelle steht das Mantra:

Hufbeschlag ist schädlich. -- Quatsch. Es kommt drauf an, wozu, wielange, und wie das Pferd beschlagen wird.

Jedes Pferd kann unbeschlagen gehen. -- Gehen vielleicht, aber nicht geritten werden. Und selbst "gehen" nicht überall, und auf jedem Boden.

Jedes Pferd muß beschlagen werden. -- Das Gegenteil zu Satz Eins ist genauso Quatsch. Hörte man vor 30 Jahren noch, heute aber kaum noch. Manche Pferde-Laien sind immer noch überrascht wenn Pferde unbeschlagen sind, und nicht schon die Fohlen mit Hufeisen zur Welt kommen. "Die armen Pferde müssen auch noch ohne Eisen im Schnee stehen! Mit Hufeisen wäre ihnen wenigstens an den Füßen nicht so kalt!" hörte ich vor Jahren mal von mitleidigen Spaziergängern, und habe mich herzlich amüsiert - nicht nur der falschen Vermenschlichung wegen, sondern weil das genaue Gegenteil richtig ist. Schneereiche Winter sind die Paradieszeiten für Reiter, aber nur mit Barhufpferden...
 
Pferde muß man auf harten Boden stellen, wenn sie auf hartem Boden geritten werden. -- Ganz sicher nicht auf einen Betonauslauf, der wie die meisten uneben und schlecht betoniert ist, dass die Huf-Tragränder nicht überall vollflächig aufliegen - oft bewußt gemacht, damit sie bei Schnee und Eis nicht so glatt sind! Ein Mangel an gerader Auflage ist sehr häufige Ursache für Huflähmen und Lederhautentzündungen, und das Urpferd lebte bekanntlich auch nicht auf Beton sondern festem, leicht nachgiebigem Boden. Vielleicht hat, wer solches ausspricht, viel betoniert und zuwenig Weide, und hält Massentierhaltung, jedenfalls mehr Pferde als vor 10-20 Jahren? (Link: Pferdehaltung)

Bearbeitungsmethode X oder Beschlag Y ist am besten, und für jedes Pferd geeignet. -- Die "schöne" Zeit, wo wir alle noch einen einheitlichen Typus Pferd, wie das Ostpreußenpferd ritten (Standard-Reitpferd der Wehrmacht), die man alle über einen Kamm scheren konnte, ist lange vorbei. Schon damals hätte jeder intelligente Pferdliebhaber dem widersprochen, auf die Unterschiedlichkeit und die Notwendigkeit der individuellen Behandlung jedes Pferdes verwiesen, wie man bei den Klassikern nachlesen kann. Das gilt heute, mit den vielen verschiedenen Pferdetypen die wir heute haben, in noch viel stärkerem Maße!

Das Pferd wird sich den "richtigen" Hufwinkel schon von selbst anlaufen. Dann darf man ihn auch nicht mehr korrigieren -- Das gilt vielleicht fürs ungerittene Wildpferd, das nur Schritt und Galopp kennt, und keine Trachtenfußung. Wenn es nicht mehr weiter kann, und vom Löwen gefressen wird, dann ist es kein beklagenswerter Verlust, sondern nennt sich natürliche Auslese, und ist gut zur Erhaltung der Art. Die Haltung und Belastung unserer Pferde ist aber immer mehr oder weniger unnatürlich. So können und dürfen wir als verantwortliche Tierhalter nicht handeln und denken (siehe oben, siehe unten).

Die "natürliche Fesselachse" beachten, bzw. in der Bearbeitung immer herzustellen versuchen -- Je nachdem wie unphysiologisch der Huf schon vorher zugerichtet, oder durch Beschlag gestellt wurde, kann das Pferd als Schonhaltung eine vor- oder rückständige Stellung entwickelt haben, und dann täuscht die Fesselachse ganz gewaltig. Zudem hat kaum einer, der den Satz im Munde führt, einen Hufwinkelmesser zur Hand oder jemals besessen. Viele "sehen" Winkelunterschiede zwischen den Hufen von 1-2° nicht mal. - Ich kann sie sehen und messen, und wenn sie bemerkenswert sind, schreibe ich sie sogar ins Reit- und Beschlagbuch2), damit ich mich an die Einzelheiten, was und wann, noch in einem halben, oder 10 Jahren erinnern kann...

Um zu erklären, warum solche und andere Muhmenweisheiten rund um den Huf grundfalsch und abzulehnen sind, möchte ich damit anfangen, wie ich zu meinem Erfahrungen und zur Hufpflege kam, weil das möglicherweise noch am verständlichsten und eingängigsten ist.

Hufe
Bild: Unbearbeitete Barfußhufe einer 12j.-Vollblutaraberstute 10 Wochen nach Beschlag-Abnahme (830km geritten)

Pony-Hufpflege

1979/1980 lernte ich auf einem Ponyhof mit rund 50 Isländern reiten, und durfte, da es damals den Beruf des Hufpflegers nicht gab, die wenigen Schmiede noch kaum mobil waren, im übrigen auf dem Hof aber auch das Geld für derartige Sachen knapp war, sehr bald auch bei der Hufpflege bei den Ponys mit anpacken. Das war für mich Jugendlichen aus der Großstadt eine spannende Sache. Es gab viel zu tun, denn nur etwa die Hälfte der Ponys wurde intensiv geritten, zu 100% barfuß - die übrigen waren zu alt, zu jung, oder zu scheu und nicht eingeritten. Die Ponys standen auf Weiden, von denen ein Teil recht sumpfig war3). Dementsprechend gab es bei den ungerittenen Pferden sehr viel Arbeit, bei den (auf harten Mittelgebirgsboden) gerittenen dagegen deutlich weniger. Die ungerittenen und halbwilden Pferde waren teils sehr schwierig überhaupt zu bearbeiten, aber wir taten keinem Pferd weh und gingen sanft mit ihnen um -- es war die Zeit des T-Touches und nicht der "Dominanzfragen"...
Hauptarbeit war das "Ausschneiden": Kürzen des Tragrands ringsum mit der Zange, einschließlich der Eckstreben, Ausdünnen der Sohle und Beschneiden des Strahls mit dem Hufmesser. Der Besitzer des Hofs hatte es bei seinen Reisen auf Island von den dortigen Bauern selbst gelernt (1966-1969) und gab mir dies Wissen weiter.
Ich stellte fest, dass auch die gerittenen Pferde noch Arbeit machten, diese aber anders beschnitten bzw. beraspelt werden musste als die ungerittenen. Hier war meistens die Hufzehe zu lang, was, wie ich als Reiter gut beobachten konnte, dann zu häufigem Stolpern, einem allgemein schlechten Gang und in der Folge oft angelaufenen Beinen führte. In ersten gelesenen Buch zum Thema "Rödder, Gesunder Huf, Gesundes Pferd"4) lernte ich über die, auch beim unbeschlagenen Pferd wichtige Zehenrichtung (einige laufen sie sich von Natur an, andere nicht). Statt wie die ungerittenen überwiegend von unten, musste ich die Hufe dieser Pferde von oben bearbeiten, d.h. die Zehe kürzen. Auf keinen Fall wären wir auf die Idee gekommen die Zehe bis in die weiße Linie hinein zu kürzen (=falsch verstandener "Wildpferde-Trimm") denn der Tragrand hat seinen Namen nicht ohne Grund, und die Struktur der Hornkapsel darf, besonders bei einem Pferd, das viel läuft, möglichst nicht geschwächt werden - Im allgemeinen versuchten wir die natürliche Stellung des Pferdes so wenig wie möglich zu verändern. Wie der Huf sich hinläuft, so soll er auch stehen (=Grundsatz physiologischer Bearbeitung)
Das galt bei Pferden, die nur auf der Wiese standen, aber nicht. Deren Hufe wurden von unten, und an der Zehe zu lang, also auch vom Winkel her zu flach. Als erste Regel lernte ich "Zehen kürzen, Trachten schonen!", was für jeden Anfänger schwierig umzusetzen ist, weil bei einem Pferd, das mehr steht als geht, wie heutzutage die meisten, also einen langen Huf hat, die Trachten mit einem Raspelstrich zu kurz geraspelt sind, das Kürzen der Zehe aber richtig schweißtreibende Arbeit ist!
Einige der Ponys waren unter den jugendlichen Reitgästen so beliebt, dass sie irgendwann gegen Ende der langen Sommerferien nicht mehr laufen mochten weil die Hufe zu stark abgelaufen waren, unabhängig davon ob sie viel oder wenig Arbeit am Huf nötig gehabt hatten. Diese mussten dann geschont werden, und wurden auf die längeren Strecken nicht mehr mitgenommen. Dabei lernten wir zugleich, beim Reiten auf das Geläuf intensiv achtzugeben. Die Pferde mit den gleichmässigsten Hufen hielten, oh Wunder, meist auch am längsten aus, selbst wenn deren Hufe klein waren. Und die Bosniaken-Ponies5) und deren Kreuzungen hatten bessere, haltbarere, härtere (d.h. auch schwerer zu bearbeitende) Hufe als die reinrassigen Isländer. Die Hufe waren also individuell sehr unterschiedlich, und die Sohlengänger waren in der Überzahl (echte Tragrandgänger lernte ich erst viel später bei den Arabern kennen). Es war eine sehr schöne Schule, die Hufbearbeitung auf diese Weise zu lernen. Denn wirklich kritische Fälle hatten wir nicht. Keine Zwanghufe, keine Rehepferde, keine untergeschobenen Trachten. Und kein einziges beschlagenes Pferd auf dem Hof.6) Es gab im Winter zwar mehr Matsch auf den Weiden als heute, aber keine Mauke, und keine Betonpaddocks. Die Pferde lebten auf der Weide und wurden geritten und als Handpferde bewegt, die Fohlen liefen frei mit, auf den bei uns schon damals recht harten Wegen. Und da wir gerne und viel ritten und die Ferien lang dauerten, bevorzugten wir die weicheren...
Wer jetzt ermüdet ist von dieser idyllischen Ponyhofgeschichte, für den kann ich es gern noch einmal zusammenfassen: Keins der Pferde wurde unnatürlich gehalten oder belastet, und deswegen gab es auch sowenig Pferde mit gesundheitlichen Problemen. Und wer da immer noch an den Immenhof denkt, der möge sich mal auf seinem Hof oder in der Nachbarschaft umschauen und vergleichen.

Leistungsgrenzen des unbeschlagenen Hufs

Wir ritten die Pferde damals schon 1500-3000km im Jahr. Ich lernte aber bald, dass das unbeschlagene Pony nicht mehr als rund 250km monatlich gehen kann. Klar "gingen" auch mal 400km in den Sommerferien, aber dann wurde es schon knapp und man musste sehr aufs Geläuf achten, bzw. nachfolgend Schonung einlegen. Mittlerweile habe ich aus jüngeren australischen Studien gelernt dass auch wildlebende Pferde (Brumbies) nicht viel mehr laufen können, und dies auch nur tun, wenn ungünstige Umstände, namentlich Wassermangel, sie dazu zwingen7) - und ihre Leistungsfähigkeit wohl nicht deswegen nicht höher ist, weil es sich "nur" um verwilderte Hauspferde handelt, die sozusagen als Folge der Domestizierung noch "degeneriert" sind und deren Hufe deshalb nicht mehr aushalten. Es entspricht auch meinen seither an sehr guten Barfußpferden gemachten Beobachtungen, die annähernd keine Bearbeitung nötig haben, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit ihrer Hufe nicht viel höher liegt. Jedenfalls: Hufwände solcher Stärke zu besitzen wie die Wildpferde in der Studie von Hampson/Pollitt, davon können die Ergebnisse unserer Pferdezucht bloß träumen.

Konsequenzen

Als Konsequenz hat sich mir eine tiefe Skepsis eingeprägt gegen alle vereinfachten Parolen und Glaubenssätze rund um den Huf wie die oben zitierten, die allesamt Krücken sind, und mehr an einem lernunwilligen menschlichen Verstand, als am Wohl des Pferdes ausgerichtet sind.

Weiter mit: Der Hufbeschlag



Anmerkungen:
1) Ich will hier nichts verkaufen, auch nicht meine Dienste. Ich arbeite nur noch an den Hufen meiner eigenen Pferde. Ich bin froh, mit dieser schweren Arbeit nicht mein Geld verdienen, und (bei fremden unerzogenen Pferden) meine Knochen riskieren zu müssen.
2) Bei mir seit jetzt über 20 Jahren: Excel- bzw. OpenOffice-Tabelle, derzeit 7MB groß
3) Die größte Weide hatte 30ha (!) und den bezeichnenden Namen "Sauwiesen". Schicken Sie mir ein Foto und die Geo-Koordinaten wenn sie in Deutschland eine größere Pferdekoppel kennen, rein interessehalber...
4) Heute sicher nicht in allen Teilen mehr aktuell. Besonders zur Hufrehe haben sich viele alte Annahmen in den letzten 20 Jahren als falsch oder unvollständig erwiesen, und die Behandlungsmethoden sind besser geworden. Gut gefallen hat mir in jüngerer Zeit "Der Weg zum gesunden Huf (Jochen Biernat, Konstanze Rasch)"
5) Es waren sieben Pferde, die allesamt aus einer einzigen, besonders harten Mutterstute stammten. Aufgrund der zu geringen statistischen Vergleichsmenge will damit keine allgemeine, "wertende" Aussage gemacht sein. Auch waren die Bosniaken eher Tragrandgänger mit mehr Sohlenwölbung als die Isländer.
6) Den ersten Hufbeschlag bekam mein Pony im Herbst 1986, vor einem dreiwöchigen Wanderritt. Bei dem Wanderritt zuvor, Frühjahr 1986 (290km in 8 Tagen) hatte ich festgestellt dass die Grenze des unbeschlagenen Reitens damit erreicht war.

7) Improving the Foot Health of the Domestic Horse — The relevance of the feral horse foot model — RIRDC Publication No. 11/140, B. A. Hampson and C. C. Pollitt, Nov. 2011 (Professor Pollitt ist außerdem über Jahrzehnte erfahrener Hobbyhufschmied und Langstrecken-Distanzreiter, weiß also zu 100%  wovon er schreibt!)

 
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