taunusreiter TAUNUSREITER
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Neu September 2014   (Update Nov.2017)

 


In Anlehnung oder Giraffe?
Gängige Missverständnisse zum Thema "Anlehnung"

oder noch anders: Wozu ein Kappzaum beim Reiten nützlich sein kann


Von Distanz-und Geländereitern wurde die Frage gestellt, wie man in Anlehnung reiten könne ohne Zügel, oder am langen Zügel? - Am langen Zügel geritten, könne das Pferd doch unmöglich "über den Rücken" gehen, würde sich nicht selbst tragen, stattdessen auf der Vorhand gehen, "latschen", und dadurch diese (nebst auch dem Rücken und dem ganzen Rest) auf Dauer ruinieren.
Andererseits wurde von Klassik-Reitern die Anlehnung abgelehnt, weil das Pferd sich nicht "am Zügel anlehnen" und eine Stütze auf der Reiterhand suchen dürfe.
Sorge um das dauerhafte Wohl seines Reittieres ist für jeden Reiter angebracht. In beiden Fällen liegt jedoch offenbar ein Mißverständnis des Begriffs "Anlehnung" vor, oder eine Verwechslung mit "Beizäumung".

Ruy
                D'Andrade im Alter von 87 Jahren
Dazu zunächst eine kleine, wohl klassisch zu nennende
Definition:
"Anlehnung ist die Verbindung, die durch wechselseitige Einwirkung von Zügelfaust und Pferdemaul entsteht. Man unterscheidet fehlende, sichere und zu starke Anlehnung. Es besteht keine Anlehnung, wenn ein Pferd ein zu empfindliches Maul hat und deshalb versucht, durch Kopfschlagen und Schütteln der Zügel jegliche Verbindung mit der Zügelfaust zu vermeiden. Eine zu starke Anlehnung haben Pferde die sich auf das Gebiß legen. Die richtige Anlehnung ergibt die beste Verbindung mit dem Pferdemaul. Sie ist gekennzeichnet durch einen sicheren, leichten und gleichmäßigen Kontakt. Diesen drei Eigenschaften stehen die entsprechenden der Zügelfaust gegenüber, die leicht, weich und ruhig sein soll"
(École de Cavalerie,
François Robichon de la Guérinière, Übersetzung Stratmann 1966)

“Anlehnung nennt man den leichten Druck, den die Kandarenwirkung in der Hand des Reiters, und umgekehrt, den die Reiterhand auf den Unterkiefer des Pferdes ausübt (...)
Ein Pferd, das nicht mit dem Kappzaum ausgebildet wurde, wird niemals jene angenehme Anlehnung besitzen, welche gute Pferde haben müssen und welche gleichmässig, stet und leicht zu sein hat"
(Erklärt das Zusammenspiel noch etwas besser, in der Übersetzung Sadko Solinskis)

Anlehnung
(franz. l'appui, auch übersetzbar mit Kontakt, oder Unterstützung) bedeutet demnach erstmal nur, dass man als Reiter das Maul des Pferdes am Zügel spürt. Das kann auch am leicht durchhängenden Zügel sein - natürlich nur, wenn sie nicht so stark durchhängen dass die Verbindung zum Maul völlig verloren geht. Guérinière spricht hier vom Kandarenzügel, weil das fertig ausgebildtete Pferd zu seiner Zeit immer auf Kandare geritten wurde. Anlehnung ist demnach keine Erfindung der FN, oder der HDV12. Es spricht nichts dagegen, auch längere Geländeritte "in Anlehnung" zu reiten. Insbesondere das hochblütige, zum auf der Vorhand davonrasen neigende Pferd. Denn "gleichmässig, stet und leicht" ist ja nichts, was Reiter oder Pferd auf Dauer schwer fallen müsste, oder dürfte - eher im Gegenteil.

"Maul spüren" meint in dem Zusammenhang übrigens nicht, dass man soviel Druck in den Zügel gibt dass das Pferd kaut und schäumt als wäre es tollwütig. Obwohl auch das oft so verstanden, gar von Reitlehrern verlangt wird - man kann das Maul auch sehr viel feiner spüren. G. spricht deswegen davon, dass gute Pferde eine "angenehme, leichte" Anlehnung haben sollen. Jeder der schon viele Pferde geritten hat, wird indes bestätigen dass manche Pferde nie dauerhaft in leichte Anlehnung zu bringen sind, egal wielange man sich bei ihnen bemüht und welche Gebisse oder gebißlose Zäumugen man anwendet. Die sich vielleicht nur mit Armen wie Nicole Upphoff reiten lassen, womit sie gute Pferde im Sinne der Definition
Guérinières nicht sind - und auch nicht in meiner. Oft bringt ein ungünstiges Gebäude (z.B. tiefer Hals, überbaut etc.) solch Pferde dazu wie kleine Büffel "Stütze auf dem Gebiß" zu suchen. Es soll auch Reiter geben, die darüber froh sind "Büffel" reiten zu können, ihnen das Pferd "gut in die Hand geht". Wenn sich Reiter und Pferd auf diese Weise gegenseitig abstützen, wird die Anlehung allerdings selten feiner. Anlehnung wie sie hier gemeint ist, wird jedenfalls vom Pferd gesucht und nicht vom Reiter erzwungen.

Es ist durchaus kein Zufall, wenn fast alle klassische Kandaren Ringe haben in die die Zügel eingeschnallt werden, und viele Reiter ihre Kandarenzügel noch zusätzlich an kleine Karabiner anschnallen, um das "Spiel" (das natürlich nicht in Klappern und Schlackern ausarten darf) noch zu erhöhen. Mit einem "Slack" (Zügeldurchhang) von einem Viertelmeter, wie auf manchen Westernprüfungen beliebt, ist keine Einwirkung möglich.

Selbstverständlich kann ein Pferd auch gebißlos (z.B. mit Bosal) in Anlehnung gehen (vermutlich aber kaum in Form einer "feinen" Anlehnung).

Je nach Typ und Selbsthaltung des Pferdes kann es sehr unterschiedlich aussehen, wie diese Anlehnung aussieht. Die meisten Ponys werden z.B. die Anlehnung mit tiefem Hals suchen. Andere im Typ des Arabers oder Vollbluts werden dies häufig in einer
Kopfhaltung tun, die wir "hohe Aufrichtung" nennen. Was etwas ganz anderes ist, als ein Pferd das "über den Zügel", in Giraffen-, Hirsch- oder Sternguckerhaltung geht -- was es ja gerade macht, um sich der, an dieser Stelle meist zu harten oder falschen, reiterlichen Einwirkung zu entziehen.

Ein Pferd in Anlehnung dagegen ist "am Zügel" und auch "am Schenkel" --- was beides zusammen meint, es steht an den Hilfen (oder richtiger ausgedrückt: es geht an den Hilfen). Ein Pferd, das ohne Schenkel geritten wird, kann nicht in Anlehnung gehen. Ohne erinnernde Schenkelhilfe wird es sich die Anstrengung sparen, die Bauchmuskulatur anzuspannen um den Reiter zu tragen, und somit nicht "über den Rücken gehen" - oft "mit aufgewölbtem Rücken" genannt, was falsch und physiologisch gar nicht möglich ist, denn ein Pferd mit permanent aufgewölbtem Rücken kann zwar bocken aber kaum mehr als 1-2 Schritte gehen. Tatsächlich hat nur der Galopp Bewegungsphasen mit ausgesprochener Rückenaufwölbung, während im Trab die Wirbelsäule des Pferdes eine wellen- oder schlangenartige Rechts-/ Links-Bewegung macht. Tatsächlich soll nicht der Rücken aufgerichtet, sondern die Kruppe abgesenkt, und die Lendenpartie frei beweglich, insbesondere das wichtige Ileosakralgelenk, und die umgebenden Muskeln entsprechend gekräftigt werden.

Wenn alles stimmt, das Pferd weder mit Maul noch Hals, noch dem ganzen Kopf, Widerstand oder Unwillen gegen den Zügel kundgibt, zeigt sich das Ergebnis, auch äußerlich "ganz hinten" erkennbar: Ein Pferd das über den Rücken geht, in feiner Anlehung, am Zügel und im Gleichgewicht, wird immer eine schöne, aufgerichtete, dabei locker pendelnde Schweifhaltung zeigen -- selbst wenn es etwa sonst noch so "unedel" wäre... und niemals mit demselben klemmen, wedeln, ihn schief tragen, oder "wie einen in die Kruppe eingesteckten Besen". Ein deutlicheres optisch erkennbares Anzeichen, wie ein Reiter sitzt, ob er gut, das heißt ausreichend, nicht zuviel, nicht zuwenig, mit den Schenkeln einwirkt, es an den Zügeln weder festhält, noch einwirkungslos laufen lässt, kenne ich nicht, als eine schöne Schweifhaltung mit frei pendelndem, unverkrampften Schweif. **)

Leichte Anlehnung bedeutet, ich gebe meinem Pferd mit dem Zügel nur den Bewegungsrahmen vor, und reite es mit Sitz und Schenkel. "Gib dem Pferd die Haltung und lass es gewähren!" fordert Nuno Oliveira vom Reiter. Weil Zügel dazu nicht gänzlich unnötig sind, rede ich hier nur vom Reiten am langen, nicht am "losen" Zügel. Natürlich kann man den Zügel auch mal "lose" machen (und soll das auch machen können ohne dass das Pferd "auseinanderfällt"), aber nicht ständig und in Permanenz. Wer sein Pferd nicht auch mal gebißlos, auf Halsring, oder dem sprichwörtlichen alten Bindfaden reiten kann, der kann schwerlich Anspruch darauf erheben ein gut gerittenes Pferd zu haben!

In Umlauf gebrachte Schlagworte wie "Freiheit auf Ehrenwort"***) oder "Hand ohne Schenkel, Schenkel ohne Hand" weisen in die richtige Richtung, aber nicht zum Kern der Erklärung, da sich das Pferd auf solche Art immer nur zeitweise reiten lässt, sofern es nicht - bei Reitern mit speziellen körperlichen Beeinträchtigungen hilfreich und zweckmäßig - schon auf das Fehlen bestimmter Hilfen speziell dressiert wird. "Übereinstimmung der Hilfen"  wäre das hier eher zutreffende Leitprinzip, oder reiterliche Denkhilfe.

Um es plakativ zu sagen: Stimmt die Anlehnung, stimmt auch alles andere, und ich muss mir keine Sorgen machen mein Pferd zu überlasten oder kaputt zu reiten. Als Freizeitreiter mit dem Anspruch, mein Pferd sehr lange zu reiten und dabei gesund zu erhalten, es nicht bloß "laufen zu lassen", darf ich auf (korrekte, leichte, zum Pferd passende) Anlehnung nicht dauerhaft verzichten -- auf Beizäumung kann ich hingegen ganz gut verzichten. Und erst dann, wenn ich es schaffe mein Pferd in Anlehnung zu reiten, es auf die Reiterhilfen Zügel, Schenkel, Sitz und Gewicht wahrhaft durchlässig geworden ist, es im Gleichgewicht geht, ich am ganz leichten Zügel das ganze Pferd bis zur Schweifspitze spüre, darf ich ans nächste Ziel denken, die Versammlung. Und oh Wunder: Sie ist dann schon fast da..!

Welchen Ausbildungsstand in Bezug auf Gymnastizierung sollte das Pferd haben was "gut geritten" sein soll? Meiner Ansicht nach ist für ein gut und fein gerittenes Gelände- und Freizeitpferd Schulterherein sehr wünschenswert, wie auch leichte Übungen in versammelten Gängen (abgekürztem Trab und Canter), die bisweilen auch im Gelände nützlich sind, und ohne die auf Dressurprüfungen typische eingezwängte Haltung und Spannung zu leisten sind. Wenn ein so gerittenes Pferd einen Reitplatz von innen zu sehen bekommt, wird es durch Zwanglosigkeit und natürlichen Schwung, Leichtigkeit der Gänge und Harmonie mit den Reiterhilfen immer eine gute Figur machen, auch dann wenn es nach Meinung von vermeintlichen Dressur-Cracks "nichts besonderes geht".  Es gilt aber: Lieber wenig, und dafür richtig!


leichte Anlehnung
Anlehnung wie ich sie verstehe, kann man auch über lange und längste Strecken reiten.
Khorsheet (Vollblutaraber) auf ihrem ersten Distanzritt, 81km


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Kleine Anmerkungen


*) Die Mängel der ersten "Verdeutschung" von Guérinière's "Reitschule" (Knöll, 1819) sind spätestens seit Soliniski's Ausführungen in "Reiten Reiter Reiterei" bekannt. Man kann dem damaligen Herausgeber, der vielleicht nicht mal selbst Reiter war, sicher darin keinen Vorwurf machen, dass sein Buch den Mängeln zum Trotz 200 Jahre später immer noch nachgedruckt wird. Diese Fehler lassen sich der Neuübersetzung von Stratmann 1966 (Reitschule) nicht ankreiden. Diese kannte leider auch der vielbelesene Solinski nicht. Antiquarisch ist sie selten, warum? Sie erschien, als es in Deutschland fast keine Reiter (und somit Pferdebuchkäufer) mehr gab. Eine überarbeitete Neuauflage wäre verdienstvoll.

**) Es ist dennoch festzustellen, dass die leichte Bauchmuskelanspannung - unverzichtbar um den Reiter zu tragen - dem Pferd anfangs schwer fällt und über längere Dauer geschult werden muss, bis sie auch über einen längeren Ritt durchgehalten werden kann. Auf diesen ist es eigentlich immer erforderlich, das Pferd ab und zu (mindestens jede Stunde) durch absitzen und 5-10 Min. zufußgehen in Rücken- und Bauchmuskulatur zu entlasten.
Die jeweils "richtige" Bauchmuskelspannung beim Gerittenwerden muss durch das Pferd gesucht und gefunden werden, wobei der Reiter durch Schenkel, Sitz und Zügel helfen kann und sollte. Hat es im Moment "zuviel" davon, passieren dann tatsächlich manchmal (und mit deutlicher Richtung nach vorwärts) ein paar Bocksprünge, die aber nur zeigen, dass das Pferd in seinem Bemühen den Reiter zu tragen auf keinem grundsätzlich verkehrten Weg ist! Der verständige Reiter wird dann Zügel und Schenkel etwas nachlassen oder sich im Sitz etwas leicht machen, sein Pferd aber niemals für die Äußerung von Leben und Freiheitswillen tadeln, und braucht sich keine Sorgen zu machen, durch dies Laissez-faire sein Pferd irgendwann zu einem echten "Bocker" zu verderben, die aus ganz anderen Ursachen zu solchen werden.
Dasselbe gilt natürlich auch, wenn das Pferd viel Bauchmuskelkraft und Eigenbalance erfordernde Manöver wie fliegende Galoppwechsel im Gelände mit Reiter eigenständig durchführt. Dafür ist das Pferd immer zu loben und zu bestärken.

***) "Freiheit auf Ehrenwort" stammt als Begriff aus dem alten Kriegsgefangenen-Recht, der die respektvolle Behandlung von gefangenen Soldaten (fast nur Offizieren) betrifft. Erklärten diese auf Ehrenwort, sich zu ergeben und auf Fluchtversuche zu verzichten, konnte ihnen eine verminderte Bewachung bis hin zum weiteren Tragen persönlicher Waffen (als Attributen des Ehrenmannes) zugestanden werden. Ein Ehrenwort durfte nicht gebrochen werden, es durfte aber auch nicht verlangt werden, und galt vielleicht sogar für besonders ehrenvoll die Abgabe des Ehrenworts zu verweigern, und damit strengere Behandlung und Bewachung zu akzeptieren, wodurch den Bewachern dann ja mehr Mühe und Aufwand entstand. Aus dem historischen Kontext heraus halte ich die Anwendung des Prinzips auf das Pferd, bzw. eine Reiterei, die den partnerschaftlichen Aspekt betont, nicht für ganz passend. Weder ist das Pferd Gefangener, noch kommt ihm eine Ehre im menschlichen oder aristokratischen Sinn zu, stattdessen umfassender menschlicher Schutz und die Anwendung menschlicher Ethik. Anders als bei gefangenen Offizieren ist beim Pferd die "Einsicht" in das Aussetzen einer Zwangsmaßnahme nicht gegeben (die das Gebiß gar nicht sein darf, und als die es auch nicht verstanden werden darf). Wenn gemeint wird dass ein Pferd ein solches Prinzip verstehen würde, dürfte es wohl eher aus Gründen der Schmerzvermeidung hinter dem Zügel, und somit ohne Anlehung gehen.